Szenarien sind „ ...eine in sich konsistente Sicht dessen, wie die Zukunft sein könnte – keine Prognose, sondern ein mögliches Ergebnis der Zukunft“. (M. Porter, 1985: Competitive Advantage. Free Press, New York). Sie sind daher Abbilder der Zukunft, die eine grobe, aber konsistente Annährungen an die möglichen Entwicklungen eines definierten Themengebietes - in kleinem oder großem Maßstab - darstellen. Somit können Szenarien auch als Basis für die Planungen dienen. Szenarien sagen nicht voraus, was geschehen wird, sondern zeigen auf, was geschehen könnte.
Szenarien sind vor allem auf Gebieten nützlich, in denen die Entwicklung aufgrund starker Schwankungen, ihrer Komplexität, ihrer Störungsempfindlichkeit oder ihrer Abhängigkeit von menschlichen Entscheidungen, nicht vorausgesagt werden kann. Der Wassersektor ist ein solches komplexes System, welches durch natürliche, technische, politische und soziale Faktoren beeinflusst wird. Im LiWa-Projekt werden Szenarien erstellt, um eine Palette an möglichen Zukunftsentwicklungen für den Wassersektor Limas im Jahr 2040 zu aufzuzeigen. Zusätzlich wird die Erstellung von Szenarien dazu genutzt, die Partizipation und Kommunikation zwischen interessierten Akteuren in Lima, wie beispielsweise dem Wasserversorgungsunternehmen, den öffentlichen Einrichtungen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft, zu fördern. Das Einbeziehen unterschiedlicher Blickwinkel unterstützt die Konstruktion von Szenarien in der Definition von Annahmen, von treibenden Kräften und in der Evaluierung von Interdependenzen.
Die folgenden Schritte sind üblich bei der Konstruktion von Szenarien:
1. Problemdefinition und Bestimmung der Rahmenbedingungen
2. Identifizierung der treibenden Kräfte (Deskriptoren)
3. Formulierung der möglichen Zustände der Deskriptoren (Subszenarien)
4. Evaluierung der Interdependenzen zwischen den Deskriptoren
5. Konstruktion der konsistenten Szenarien
6. Analyse der Konsequenzen und Diskussion alternativer Eingriffe
Während mehrerer lokaler Workshops in Lima, moderiert durch das Forschungsteam von ZIRIUS der Universität Stuttgart, wurden die Hauptfaktoren (treibende Kräfte oder Deskriptoren), die einen Einfluss auf den Wassersektor Limas im Jahr 2040 haben, identifiziert und potenzielle Zukunftsentwicklungen formuliert. Die endgültigen Szenarien bestehen aus konsistenten Kombinationen der Deskriptoren und deren Subszenarien. Um die interne Konsistenz der Szenarien zu sichern nutzt das LiWa-Projekt die „Cross-Impact Balance-Analysis“ (CIB) zur Szenarienkonstruktion. Die CIB-Methode schließt die systematische Evaluierung der Faktor-Interdependenzen ein und bedient sich dafür eines qualitativen Ansatzes der Kreuzeinflüsse auf Basis von Expertenurteilen.
Für die Auswertung der CIB und Identifikation der konsistenten Szenarien wurde das Tool „ScenarioWizard” (kostenloser Download www.cross-impact.de) verwendet. Aus insgesamt etwa 140.000 möglichen Kombinationen ergaben sich als Ergebnis der CIB-Analyse insgesamt 16 Szenarien. Die Ergebnisse wurden in 4 Szenarien zusammengefasst:
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Szenario A: Klimastress trifft Governance-Desaster
Die Wasserversorgung Limas und Callaos befindet sich im Jahr 2040 aufgrund des starken Bevölkerungsdrucks, des sowohl horizontalen als auch vertikalen Stadtwachstums, den sozioökonomischen Verhältnissen, der defizitären Wasserinfrastruktur und vor allem den schwachen Governancestrukturen, unter starkem Druck. Dieser Druck ist über die Jahre stetig angewachsen, hervorgerufen durch die Auswirkungen des Klimawandel in den letzten Jahren, unabhängig davon, ob letzterer zu einer deutlichen Minderung oder einen deutlichen Anstieg der Niederschläge in den höheren Gebieten des Wassereinzugsgebietes geführt hat.
Szenario B: Die Tragödie der isolierten Maßnahmen
Das Szenario B ist dem Szenario A sehr ähnlich. Die Bevölkerung hat in den letzten Jahrzehnten stark zugekommen, die Stadt ist weiter gewachsen, sowohl vertikal als auch horizontal, und die verbleibenden Täler sind weiter besiedelt worden. Trotz schwacher Governancestrukturen wie in Szenario A, haben in diesem Szenario einige Akteure die Initiative ergriffen, mit dem Ziel, das Wassersystem der Stadt zu verbessern und die Wasserversorgung Limas und Callaos sicherzustellen. In der Variante B1 hat sich ein Wassereinzugsgebietsmanagement etabliert, das unterschiedliche Institutionen vereint und partizipativ arbeitet. In der Variante B2 versucht ein privates Wasserversorgungsunternehmen, die Situation zu bessern. In beiden Fällen stehen die jeweiligen Akteure alleine da und ihre Maßnahmen sind jeweils auf bestimmte Bereiche des gesamten Wassersystems begrenzt.
Szenario C: Die Gelegenheit der Akteure auf der Mesoskala
Im Szenario C treten gleichzeitig und vereint die Akteure auf, die sich auf der Mesoskala (der Ebene zwischen National- und Lokalregierung) befinden, und im Szenario B alleine aufgetreten sind: das integrierte Wassereinzugsgebietsmanagement und das private Wasserversorgungsunternehmen. Obwohl der Bevölkerungsdruck in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen hat und die Stadt die gleichen Wachstumstendenzen beibehalten hat (sowohl horizontal als auch vertikal), der Klimastress der gleiche ist, und zudem die allgemeinen politischen und sozioökonomischen Bedingungen nicht besser sind als im Szenario A und B, konnte in diesem Umfeld die gemeinschaftliche Arbeit dieser beiden Akteure trotzdem mehr für die Wassersituation in Lima und Callao erreichen, als sie bloße Summe ihrer Einzelinitiativen.
Szenario D: Klimaresilienz dank starker Governance
Die Wasserversorgung von Lima und Callao im Jahr 2040 zeigt sich relativ unabhängig von den durch den Klimawandel hervorgerufenen Effekten. Dies dank stark entwickelter Governancestrukturen auf allen Ebenen (lokal, regional und national), welche die Koordination, die Zusammenarbeit und Planung als Schlüsselaspekte ihrer Arbeit hervorgehoben haben. Zudem wurden in den letzten Jahrzehnten staatliche Politikstrategien entwickelt und gefördert, die auf Inklusion, Schaffung von Arbeitsplätzen und Armutsbekämpfung orientiert sind. Es wurden Stadtentwicklungspläne beschlossen, die Anpassungsstrategien miteinschließen. Dadurch werden stabile sozioökonomische Bedingungen und eine gefestigte Wasserinfrastruktur sichergestellt.
Während der zweiten Phase des LiWa-Projektes wurden die Szenarien mit den Hauptakteuren des Sektors in Runden Tischen diskutiert und überprüft. In einem nächsten Schritt wurden die qualitativen CIB Szenarien mit der Modellierungssoftware "LiWatool" kombiniert, um Szenarien bis zum Jahr 2040 zu simulieren ("CIB und Simulation"). Die Szenarien wurden im LiWa-Projekt zudem als allgemeiner Rahmen verwendet, um die Robustheit verschiedener Maßnahmen und -kombinationen für die zukünftige Wasserversorgung Limas und Callaos beurteilen zu können und zu einem abgestimmten "Aktionsplan" zu gelangen.
Das Ziel der Kombination von qualitativer Szenarioanalyse CIB mit der numerischen und quantitativen Simulation war zum einen, die Szenarien als Input-Paramter für die Modellierungs-Software “LiWatool” zu nutzen und die Szenarien bis zum Jahr 2040 zu simulieren. Zum anderen, wurden die durch “LiWatool” berechneten Output-Parameter verwendet, um die Performance der verschiedenen Szenarien bezüglich unterschiedlicher Kriterien quantitativ zu bewerten. Die Methodik baut auf den klassischen “Story-and-Simulation”(SAS)-Ansatz auf, testet jedoch die neue "CIB and simulation"-Methodik.
Das Ergebnis der Kombination von Szenario Storylines und Simulation sind integrierte Szenarien, die sowohl narrative als auch numerische Teile enthalten. Diese integrierten Szenarien sind in einem 55-seitigen Bericht dokumentiert ("Escenarios para el futuro - Lima y Callao 2040. Escenarios CIB, storylines & simulación LiWatool"). Dieses Dokument wurde im Rahmen der LiWa-Konferenz am 16. April 2013 in Lima offiziell vorgestellt.
Link: www.cross-impact.de (Download CIB-Methodenblätter und "ScenarioWizard")
Kontakt: Christian D. León, Hannah Kosow, Wolfgang Weimer-Jehle; ZIRIUS Universität Stuttgart